Kündigung statt Meinungsfreiheit: Waldorfschule Freiburg-Wiehre entläßt fristlos Eurythmiebegleiter
Freiburg. Die Freie Waldorfschule Freiburg-Wiehre hat ohne Angabe von Gründen den Eurythmiebegleiter Dr. Klaus Miehling gekündigt, fristlos. Miehling berichtet, dass er 11 Jahre ohne Tadel und Krankheitsausfälle an der Schule als Klaiverbegleiter im Eurythmieunterricht tätig war und nach eigener Auskunft aufgrund eines Internetartikels, den er bereits im September 2015 veröffentlichte und der erst vor kurzem in seiner Waldorfschule bekannt wurde, unerwartet ins Schulbüro bestellt wurde und "einvernehmlich" einen Auflösungsvertrag unterzeichnen sollte.
.
Als er dazu nicht bereit war, wurde er aufgefordert, "sofort die Schulschlüssel auf den Tisch zu legen" und über das Wochenende seine Entscheidung zu überdenken. Miehling jedoch hat auch am darauffolgenden Montag den Auflösungsvertrag nicht unterschrieben; worauf man ihm sagte, er möge seine Arbeit niederlegen und gehen. Danach folgte die fristlose Kündigung, gegen die sich Miehling bereits rechtsanwaltlich wehrt.
Der gesamte Vorstand und der Geschäftsführer des Trägervereins der Waldorfschule, der Oberrheinische Waldorfschulverein e. V. waren nicht bereit, diesem Medium gegenüber eine Stellungnahme abzugeben und die Vorwürfe und Gründe offenzulegen, die zur außerordentlichen Kündigung des Herrn Dr. Miehling geführt haben.
Nachfolgend lesen Sie seinen offenen Brief an das Kollegium:
.
.
Donnerstag, 14. April 2016
Von: Dr. Klaus Miehling
Betreff: Kündigung statt Meinungsfreiheit - Offener Brief
Liebe Kollegen
(und fünf Schülereltern, von denen ich wegen voriger Kontakte die Adressen habe),
wie den meisten von Ihnen bekannt sein dürfte, hat der Oberrheinische Waldorfschulverein e.V. das Arbeitsverhältnis mit mir gekündigt – außerordentlich und mit sofortiger Wirkung. Ich schreibe trotzdem nicht „ehemalige Kollegen“, da die Kündigung unrechtmäßig ist und ich mich dagegen zur Wehr setzen werde.
Das Kündigungsschreiben enthielt keine Begründung, aber der „Grund“ ist ein Artikel vom September letzten Jahres:
http://www.dzig.de/Fluechtlingskrise-Der-Niedergang-Deutschlands-droht
Wenn Sie sich die Zeit nehmen, den Artikel zu lesen, werden Sie feststellen, dass er nichts enthält, was strafrechtlich relevant ist und damit Grund für eine Kündigung sein könnte. Man hat mir auch weder mündlich noch schriftlich mitgeteilt, an welchen Aussagen des Textes man Anstoß genommen hat.
Ich könnte hier wortreich den Inhalt verteidigen, der seit dem Erscheinen durch die Ereignisse der Silvesternacht, die Terroranschläge von Brüssel und die neue Kriminalstatistik noch an Relevanz gewonnen hat. Ich könnte betonen, dass ich den Artikel in Sorge um unser aller Gegenwart und Zukunft, gerade auch der Zukunft unserer Schüler, geschrieben habe, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht um die Frage, ob man als Mitarbeiter dieser Schule im Privatleben noch seine Meinung frei äußern darf.
Hinzu kommt, dass ich als Eurythmiebegleiter kein Anthroposoph sein muss. Und selbst wenn ich auf die Anthroposophie verpflichtet wäre, so müsste erst einmal bewiesen werden, dass der Text anthroposophischen Grundsätzen widerspricht. Die Anthroposophie ist vor einigen Jahren wegen „politisch unkorrekter“ Aussagen Rudolf Steiners selbst kritisiert worden. Ich glaube, Rudolf Steiner wäre auf meiner Seite. Die anthroposophische Pädagogik nennt sich „Erziehung zur Freiheit“ – wo aber ist diese Freiheit, wenn freies Denken und freie Rede nicht möglich sind, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren?
Elfeinhalb Schuljahre lang habe ich in gutem Einvernehmen mit den Kollegen und, wie mir freundliche Rückmeldungen immer wieder gezeigt haben, zu ihrer Zufriedenheit meinen Dienst verrichtet (übrigens ohne dass ich auch nur einen einzigen Tag krankgeschrieben war). Nun musste ich am vergangenen Freitag wie ein ertappter Dieb die Schlüssel auf den Tisch legen und durfte nicht mehr in den Unterricht gehen.
Diejenigen, welche die Entscheidung für meine Kündigung zu verantworten haben, müssen sich fragen lassen, wie sie eine solch meinungsdiktatorische und antidemokratische Haltung mit den hehren humanistischen Zielen, die sich die Anthroposophie auf die Fahnen geschrieben hat, vereinbaren wollen. Sie werden den Schülern erklären müssen, warum sie die Demokratie, Meinungsfreiheit und Toleranz, die sie (wie ich annehme) predigen, selbst nicht vorleben. Sie werden sich vor der zahlenden Elternschaft dafür rechtfertigen müssen, weshalb sie eine juristisch unhaltbare Entscheidung getroffen haben, die unnötige Kosten für einen Ersatzpianisten und für den nun folgenden Rechtsstreit verursacht.
Offenbar muss man als Mitarbeiter dieser Schule nicht nur beim Betreten sein Rückgrat an der Garderobe abgeben, man darf es nach der Arbeit auch nicht wieder mit nach Hause nehmen.
Ich bin aber nicht „der Schule“ gegenüber feindselig eingestellt. Ich bin davon überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit von Ihnen, auch wenn viele meine politischen Überzeugungen nicht teilen, auf der Seite der Meinungsfreiheit steht.
Dieses Schreiben geht auch an den Bund der Freien Waldorfschulen und an anthroposophische Zeitschriften. Es könnte nötig sein, auch jenseits der Grenzen unserer Schule über das Verhältnis der Anthroposophie zur Meinungsfreiheit nachzudenken sowie darüber, ob es „die“ anthroposophische Position zu wichtigen politischen Fragen der Gegenwart überhaupt geben kann. Vielleicht bleibt dann anderen frei denkenden Mitarbeitern von Waldorfschulen ein Schicksal wie das meine erspart.
Mit besten Grüßen
Klaus Miehling
--
Dr. Klaus Miehling
Maria-Theresia-Str. 9
D-79102 Freiburg
Einer oder mehrere Kommentare sind noch nicht freigeschaltet.