Manipulative Methoden, diffamierende Interpretationen, falsche Aussagen: Ein Brief an Ministerpräsident Weil zur Nentwig-Biographie über Hinrich Wilhelm Kopf
Hannover/Brannenburg. Bezüglich der Fragen aufwerfenden Publikation von Teresa Nentwig und die dadurch offensichtlich auf falschen Tatsachen beruhende Umbenennung der Adresse des Niedersächsichen Landtags zugunsten der jüdischen Persönlichkeit Hannah Arendt mehren sich die kritischen Stimmen, insbesondere auch von Zeitzeugen, die den ersten Ministerpräsidenten Niedersachsens noch persönlich gut kannten. Dazu zählt auch Dr. Ferdinand Kuba, der zu Nentwigs neuer Biographie über Hinrich Wilhelm Kopf "zusammenfassend feststellt, dass die Arbeit, die ja auch einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen hat, nicht nur eine tendenziöse Linie verfolgt, sondern gravierende Fehler aufweist - die zu konstruierten Schlussfolgerungen, Mutmaßungen und Urteilen führt, die nicht nur einer entschiedenen Korrektur bedürfen, sondern zwingend eine neue Bewertung der gesamten Biographie erforderlich machen."
Mit diesen Worten und einer ausführlichen Richtigstellung, die nach Ansicht von Dr. Kuba endgültig entscheidende Anklagepunkte der Biographie als falsch und diffamierend herausgestellt haben, wendete sich Dr. Kuba in einem offenen Brief an Ministerpräsdient Stephan Weil (SPD), in dem er ihn auffordert öffentlich zu erklären, "dass Sie damals anlässlich Ihrer Rede bedauerlicher Weise von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind und heute nach kritischer Überprüfung eine differenziertere Sichtweise einnehmen [...]. Mit einer solchen Erklärung könnten Sie Hinrich-Wilhelm Kopf, dem Gründer des Landes Niedersachsen und einem Ihrer größten Vorgänger im Amt, Gerechtigkeit widerfahren lassen und seine Ehre wieder herstellen."
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Der Schriftverkehr im O-Ton:
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Dr. Ferdinand Kuba
Offener Brief an:
Ministerpräsident Stephan WeiL
Niedersächsische Staatskanzlei
Planckstr. 2
30168 Hannover
24.04.2015
Betr.: Biographie über Hinrich Wilhelm Kopf von Teresa Nentwig und die Entscheidung, den Platz vor dem Parlament umzubenennen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die Entscheidung, den Platz vor dem Parlament in Hannover - der bislang den Namen von Hinrich-Wilhelm Kopf trug - umzubenennen ist, allen Ungereimtheiten zum Trotz, nun gefallen. Ausgelöst wurde diese Aktion durch die Dissertation einer jungen ambitionierten Historikerin. In ihrem Bemühen um Aufmerksamkeit und Anerkennung scheute die Autorin nicht vor manipulativen Methoden, diffamierenden Interpretationen und falschen Aussagen zurück.
Dafür erhielt sie große Aufmerksamkeit in den Medien und leider auch erhebliche politische Unterstützung von Menschen, die entweder nicht die Zeit fanden, dies umfangreiche Werk zu lesen und sich mit der Kritik daran auseinanderzusetzen, oder die an dieser Art politischer Kampagne ihr eigenes Profil zu schärfen gedachten.
Sie selbst wurden leider auch vom Inhalt dieser Biographie getäuscht, indem Sie anlässlich der Buchvorstellung die darin enthaltenen falschen und tendenziösen Aussagen großenteils übernahmen. Damit war von höchster Ebene der Ton für die spätere Debatte vorgegeben.
Man kann wohl davon ausgehen, dass Ihre Rede auf einem Referentenentwurf basierte, da Sie sicher nicht genügend Zeit haben, sich mit Dingen wie dieser Biographie detailliert persönlich auseinander zu setzen. Leider waren Sie schlecht beraten und tragen letztlich die Verantwortung für Ihre Aussagen.
Nachdem sich nun aber endgültig entscheidende Anklagepunkte der Biographie als falsch und diffamierend herausgestellt haben, wäre es angemessen und fair, wenn Sie öffentlich erklärten, dass Sie damals anlässlich Ihrer Rede bedauerlicher Weise von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind und heute nach kritischer Überprüfung eine differenziertere Sichtweise einnehmen würden. Mit einer solchen Erklärung könnten Sie Hinrich-Wilhelm Kopf, dem Gründer des Landes Niedersachsen und einem Ihrer größten Vorgänger im Amt, Gerechtigkeit widerfahren lassen und seine Ehre wieder herstellen.
In der Anlage Überreiche ich Ihnen eine ausführlichere Zusammenfassung der Kritik an der Dissertation von Frau Nentwig und gehe davon aus, dass Sie diese von Ihren Mitarbeitern oder entsprechend kompetenten Stellen überprüfen lassen werden. Zusätzlich greife ich nachfolgend in Kurzform noch einige der eklatantesten, ungerechtfertigten Vorwürfe der Biographie heraus, die mehrheitlich auch in Ihrer Rede einen Niederschlag fanden:
Die jüdischen Friedhöfe in Königshütte (heute Chorzow) und Cieszowa
Es wird behauptet, Hinrich Wilhelm Kopf habe die Grabsteine dieser Friedhöfe (zum Straßenbau) verkauft. Es liegen aber eindeutige polnische Quellen vor, die wohl kaum ein Interesse daran haben dürften, mögliche deutsche Untaten während des Krieges zu verschweigen, dass diese Friedhöfe den Weltkrieg unbeschadet überstanden haben. (Für Cieszowa siehe dazu www.kirkuty.xip.pl/cieszowa.htm für Chorzow eine 10-seitige Abhandlung in polnischer Sprache zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Chorszow, vormals Königshütte von Renata Skoczek, Historikerin am Museum Chorszow: 'Zydzi na Górnym Slasku w XIX i XX wieku', edited by B. Kalinowska-Wójcik, D. Keller, Rybnik-Katowice 2012, p. 395-404.)
Auf Vorhaltungen nahm selbst Frau Nentwig den Vorwurf bezüglich des Friedhofs in Chorzow später zurück und ermäßigte ihre Aussage im Falle des Friedhof in Cieczowa indem sie schrieb: "Es waren wohl nur einzelne Grabsteine".
Tätigkeit als Finanz- und Immobilienmakler in Berlin
Der Vorwurf lautet, er habe sich in dieser Zeit an der Entrechtung der Juden bereichert und an der Arisierung jüdischer Unternehmen kräftig verdient.
Tatsächlich hat er vielen Juden geholfen die ihn damals um seine Vermittlung baten, ihren Immobilienbesitz zu verkaufen, um somit wenigstens einen Teil ihres Vermögens zu retten, bevor ihnen die -entschädigungslose Enteignung bevorstand. Dies tat er laut Belegen sogar oftmals unter Umgehung damals schon restriktiver Bestimmungen. Dafür erhielt er von Betroffenen nach dem Krieg Dankesschreiben, in Frau Nentwigs Terminologie: „Persilscheine“ genannt. Wie im Maklergeschäft üblich, nahm er dafür eine Provision von seinen Klienten ohne Ansehen von Person, Stand oder Religion. Kann das ein Grund zur Anklage sein? Hätte er jüdische Klienten damals abgewiesen, würde man ihm heute zu Recht Verweigerung von Hilfeleistung an Menschen in Not vorwerfen.
Was die sogenannte „Arisierung“ von jüdischen Betrieben anbelangt, so bezieht sich die Biographie auf einen angeblichen Fall, an dem Kopf & Bohne beteiligt gewesen sein sollen, der allerdings nicht näher belegt wird. In der Biographie heißt es dann lapidar: „Inwieweit Kopf & Bohne tatsächlich aktiv an der Entjudung der deutschen Wirtschaft beteiligt waren, lässt sich aufgrund der schlechten Quellenlage nicht mehr nachvollziehen.“ Der Vorwurf wird in der Biographie aber dennoch aufrechterhalten.
Einsatz für politisch zuverlässiges Personal
Dazu heißt es in der Biographie: „Kopf setzte sich für politisch zuverlässiges Personal auch auf der untersten Ebene ein.“ Tatsächlich reichte er einen derartigen Ukas des Kreisleiters weiter. Es war also der Kreisleiter, der politisch zuverlässiges Personal an mahnte und nicht Kopf.
In der Biographie heißt es dann: „zwar lässt sich die Frage nach dem ursprünglichen Auslöser der Kausalkette nicht beantworten“. Dies ist wiederum eine Unterstellung, denn laut Unterlagen ist es eindeutig der Kreisleiter, der diese Forderung aufstellt. Als Nicht-Parteimitglied konnte Kopf an einer solchen Forderung wirklich kein Interesse haben.
Geringschätzung von Kopfs Opferrolle während der NS-Zeit
Im Gegensatz zu den ungerechtfertigten Anklagen wird in der Biographie Kopfs Opferrolle während der NS-Zeit konsequent heruntergespielt.
Seine Entlassung als Landrat und SPD Mitglied, durch die Nazis und die damit verbundene Versetzung in den Ruhestand, die ihn seiner Existenzgrundlage beraubte; die vorzeitige Kündigung eines Kredites; die Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses; sein Name auf einer schwarzen NS- Liste etc. werden wörtlich als "mindere Beeinträchtigungen" charakterisiert.
Dagegen heißt es im Falle eines anderen entlassenen SPD Landrates: "Er wurde ein Opfer der über die SPD Landräte hereinbrechenden Entlassungswelle". So kann man mit zweierlei Maß messen.
Dankesschreiben von Bürgern, einschließlich jüdischer Herkunft, für seine Hilfeleistung während der Krieges werden ebenfalls konsequent und flappsig als "Persilscheine" kategorisiert, "deren Weiß die wenigen authentischen Quellen überstrahlt hätten" und die die Autorin glaubt anzweifeln zu müssen.
Auch die Tatsache, dass Hinrich Wilhelm Kopf niemals NS-Parteimitglied war, wird kaum gewürdigt, es würde eben nicht ins gewünschte Bild passen.
Entscheidungsprozess hinsichtlich der Umbenennung des Hinrich-Wilhelm Kopf-Platzes vor dem Parlament
Natürlich steht eine derartige Entscheidung letztlich den lokalen Gremien und zuständigen Bürgermeistern zu. Um dem gesamten Vorgang auf politischer Ebene aber einen möglichst demokratischen Anstrich zu verleihen, wurde von der SPD-Fraktion im Januar 2013 eine Podiumsdiskussion unter der Überschrift: „Die Vergangenheit des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten als Profiteur des NS-Regimes“ abgehalten.
Diese Veranstaltung glich eher einem Tribunal als einer Podiumsdiskussion, denn das Urteil stand ja laut Überschrift bereits fest. Der gesamte Vorgang hätte der ehemaligen DDR alle Ehre gemacht. Auf dem Podium war nicht eine einzige kritische Stimme vertreten; Kritik aus dem Publikum wurde mit der Begründung mangelnder Zeit abgewiegelt und die Autorin der Biographie wurde davor bewahrt, auch nur auf einen einzigen Kritikpunkt eingehen zu müssen. Die Veranstaltung war einer Demokratie absolut unwürdig.
Hinrich-Wilhelm Kopf verdient aus den angeführten Gründen eine Rehabilitierung und ich hoffe, dass Sie nach einer nochmaligen eingehenden Überprüfung der Angelegenheit auch zu dieser Überzeugung kommen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ferdinand Kuba
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Dr. Ferdinand Kuba
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
im Nachtrag zu meiner Nachricht vom 27.04.2015 zum o. g. Thema übersende ich Ihnen einen Artikel aus dem in Oppeln (Polen) erscheinenden "Wochenblatt" mit der Überschrift: "Erfundene Friedhof Schändungen - der Fall Hinrich-Wilhelm Kopf".
Es scheint polnischen Historikern und Presseorganen vorbehalten zu sein, die Verleumdungen, die über Hinrich-Wilhelm Kopf durch die Dissertation von Frau Nentwig verbreitet wurden, zu korrigieren.
Leider werden diese falschen und tendenziösen Darstellungen von der niedersächsischen politischen Szene und Presse in kollektiver Einigkeit nach wie vor aufrecht erhalten, verbreitet und bis heute weder hinterfragt noch widerrufen, obwohl dafür genügend Informationen und Quellenmaterial zur Verfügung stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ferdinand Kuba
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ANLAGEN:
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Dr. Ferdinand Kuba:
Kritik an der Dissertation von Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf
Ich hatte in einer früheren Stellungnahme bereits die Überzeugung geäußert, dass die Autorin im Laufe ihrer Forschungsarbeit wahrscheinlich auf vermeintliche Indizien gestoßen ist, die sie meinte als Kopfs enge Verstrickung in das NS Regime deuten zu können. Einmal auf dieser Fährte sind dann sehr zweifelhafte Indizien konsequent in diese Richtung interpretiert, ja man könnte sagen: gesucht worden. Die Jagd war sozusagen eröffnet.
Aus Sicht der Autorin galt es offensichtlich insbesondere, die „Aussagen von Entlastungszeugen kritisch zu betrachten“. Solche Aussagen werden als „Persilscheine“ bezeichnet, „deren Weiß den Beweiswert der wenigen authentischen Dokumente bis dahin überstrahlt hätten“ und die es scheinbar zu entlarven galt.
In gewisser Weise ist ein solcher Prozess nachvollziehbar, denn das Ergebnis der Arbeit versprach dadurch eine Art Sensation zu werden, (Pressestimmen: Hinrich Wilhelm Kopf ein Nazi!) mit der die Aufmerksamkeit und das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien geweckt werden konnten und ein kleiner Abglanz dabei auch auf das verantwortliche Institut und den Doktorvater abfällt. Die Tatsache, dass Frau Nentwig, von ihrem Doktorvater ermutigt, noch lange vor Abschluss der Arbeit im Januar 2013 mit Teilergebnissen, die Hinrich Wilhelm Kopfs Tätigkeit während der NS-Zeit betreffen, an die Öffentlichkeit gegangen ist, deckt solche Zusammenhänge auf. Worauf die HAZ dann auch prompt mit einem entsprechend reißerischen Artikel herauskam.
Ich möchte nochmals feststellen, dass die Arbeit außer tatsächlich falschen Aussagen eine eindeutige Tendenz aufweist, mit zweifelhaften Argumenten, Bewertungen, Interpretationen und Fehlurteilen Hinrich Wilhelm Kopf als in das NS System verstrickt und als dessen Profiteur darzustellen. Dies möchte ich anhand einiger besonders offensichtlicher Beispiele verdeutlichen, indem ich schon frühere Argumente erweitere, vervollständige und auf Grund eigener Recherchen neue hinzufüge.
1. Hinrich Wilhelm Kopfs Tätigkeit im Rahmen der Firma Kopf & Bohne
Der Hauptvorwurf hier lautet, er habe an der Entrechtung der Juden kräftig verdient. Tatsache ist, dass viele jüdische Mitbürger, die vom NS-Regime immer mehr bedrängt wurden damals in Berlin seine Hilfe suchten, um Ihren Besitz zu so günstigen Bedingungen wie möglich zu veräußern, bevor ihnen eine entschädigungslose Enteignung drohte. Er bediente diesen Klienten so gut es irgend ging und laut Zeugenaussagen sogar oft unter Umgehung von damals schon geltenden restriktiven Bestimmungen. Für diese Vermittlungen nahm er eine Provision, wie von nichtjüdischen Klienten auch. Ist das ein Argument, ihm heute „Bereicherung an der Entrechtung der Juden“ vorzuwerfen? Hätte er sie sehenden Auges ihrem Schicksal, der entschädigungslosen Enteignung überlassen sollen?
Hätte er das getan, würde man ihm heut zu recht verweigerte Hilfeleistung an Menschen in Not vorwerfen.
Frau Nentwig schreibt dazu auf S. 218: „Ein differenziertes Urteil über Kopfs Geschäfte ist aus dem genannten Grund allerdings nicht möglich“. Um welchen genannte Grund es sich handelt bleibt unklar. Aber es reicht in jedem Fall, um ihn der Bereicherung an der Entrechtung der Juden anzuklagen.
Frau Nentwig schreibt weiter: „Inwieweit Kopf & Bohne tatsächlich an der „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft aktiv beteiligt waren, lässt sich aufgrund der schlechten Quellenlage nicht mehr nachvollziehen“. Wenn dem so ist, sollte man hier auch einen Punkt setzen. Stattdessen wird dann aber doch vermutet, er habe sich daran beteiligt, indem ein Bank-Empfehlungsschreiben, welches der Firma Firma „Kopf & Bohne“ Seriosität bescheinigt, genügt für eine solche Vermutung. Auch eine allgemeine positive Beurteilung der Geschäftsgebaren von Kopf & Bohne durch die Deutsche Effekten und Wechsel-Bank soll weiter einen solchen Verdacht untermauern. Ein unzulässiges, zweifelhaftes und spekulatives Verfahren, um einen so schweren Vorwurf zu untermauern.
Um der moralischen Verurteilung Nachdruck zu verleihen, wird dann noch die Adresse seines Büros am Kurfürsten Damm bemüht mit ausführlicher Beschreibung der Luxusgeschäfte, Restaurants und Nachtlokale in der Umgebung, was wohl Assoziationen zu einem vermeintlich verwerflichen Luxusleben hinweisen soll, denn welchen anderen Sinn könnte ein solcher Exkurs sonst haben?
Um dieser tendenziösen, indirekten moralischen Verurteilung noch mehr Nachdruck zu verleihen, wird dann als Kontrast dazu das mühselige Leben von zwei anderen (anständigen) Sozialdemokraten in der Emigration beschrieben. Was hat das mit Hinrich Wilhelm Kopf zu tun?
Es sollte hier noch einmal klar gesagt werden: Mit seinen Vermittlungsdiensten für jüdische Mitbürger tat er damals das Richtige zur richtigen Zeit, davon zeugen auch Dankesschreiben, die er für seine Dienste noch nach dem Krieg erhielt, aber es ist sowohl aus der Psychologie als auch der Soziologie ein bekanntes Phänomen: Wer anderen zur Hilfe kommt und dabei selber einen gewissen Vorteil erfährt (seine Vermittlungsprovisionen), erntet meist Empörung. Helfer müssen wie makellose Heilige sein, sonst trifft sie die Wucht öffentlicher Entrüstung.
2. Tätigkeit in Königshütte und für die HTO
Im Oktober 1939 wurde Hinrich Wilhelm Kopf, bzw. seine Firma vom Oberbürgermeister von Königshütte, Walter Delius, der Kopf aus früherer Zeit kannte, beauftragt, den städtischen Grundbesitz zu verwalten. Frau Nentwig zweifelt daran, dass es sich wirklich um einen Auftrag handelte. Warum? Im Grunde spielt das keine große Rolle aber es passt eben besser in die allgemein tendenziöse Darstellung zu sagen „er ergriff die Gelegenheit weil er sich großen Profit versprach“ Soll heißen: Eigentlich hat er diese Tätigkeit selber gesucht und gefunden. Als Quelle dient dafür ein Zeitungsartikel (S. 219) und der Profit wird dann auch gleich genannt, denn die Einnahmen von Kopf & Bohne werden für das Jahr 1939 mit 205.785 RM beziffert. Es bleibt dabei aber offen, wie viel dieses „Profits“ auf die knappen 3 Monate Tätigkeit in Königshütte entfallen und wie viel auf den Rest das Jahres aus seiner Tätigkeit in Berlin. Aber es wird anstandslos in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in Königshütte gebracht, wohl um „den reichen Profit der ihm dort winkte“ zu untermauern.
In jedem Fall müssten vom genannten Betrag die Kosten, wie Büromiete, Gehälter, Steuern und Abgaben in Abschlag gebracht werden, bevor vom verbleibenden Betrag je die Hälfte den beiden Geschäftspartner (Kopf & Bohne) als „Profit“ zuzurechnen wäre. Ein ganz sicher weniger eindrucksvoller Betrag, den man bezüglich seiner Größenordnung besser mit den damals üblichen Einkünften anderer Freiberufler, wie Anwälten, Notaren oder Architekten hätte vergleichen sollen.
All diese Dinge wären im Grunde nicht von all zu großer Bedeutung, wenn sie nicht als Pars pro toto ständen und symptomatisch für das Vorgehen dieser Arbeit wären.
Die Tätigkeit der HTO, für die Hinrich Wilhelm Kopf später bis 1942 tätig wurde, ist sicher insgesamt kritisch zu bewerten, muss aber gerechterweise in einen größeren historischen Zusammenhang gestellt werden. Es muss festgehalten werden, dass die HTO in Oberschlesien in einem Gebiet tätig wurde, das rund 200 Jahre zu Preußen gehört hatte, bevor es für 18 Jahre - nach dem 1. Weltkrieg im Rahmen der Friedensverhandlungen und entgegen einem Volksentscheid - an Polen übertragen wurde.
Es handelt sich also nicht um ein urpolnisches Gebiet, in dem die HTO auf den immer wieder erwähnten „Raubzug“ ging, sondern um Schlesien, das bis dahin lediglich 18 Jahre zu Polen gehört hatte. Im Verständnis vieler damals beteiligter Menschen handelte es sich schlicht um so etwas wie eine Zurückgewinnung deutschen Territoriums. Damit sollen keinesfalls die, insbesondere im Laufe der Zeit, zunehmend repressiver werdenden Methoden der HTO gerechtfertigt werden. Es geht vielmehr um ein besseres Verständnis für die Bewusstseinslage der Menschen in der damaligen Zeit, die erst in diesem historischen Zusammenhang zu verstehen ist. So läßt sich nur erklären, dass sonst über alle Zweifel erhabene Menschen im Dienste der HTO standen. Das gilt insbesondere für Graf Matuschka, den Chef der HTO-Zweigstelle Kattowitz, der 1944 wegen seiner Nähe zum Widerstand hingerichtet wurde und der Hinrich Wilhelm Kopfs direkter Vorgesetzter war, aber auch für den HTO-Chefjuristen Herman Höpker-Aschhoff, den vormaligen preußischen Finanzminister und späteren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes.
Ich meine, auch Hinrich Wilhelm Kopfs zweijährige Tätigkeit für die HTO muß ebenfalls in diesem historischen Zusammenhang gesehen und bewertet werden, die seinerzeit unter dem Begriff „Wiedereingliederung der Ostgebiete“ stand. Dies sollte man gerade von einer Historikerin erwarten dürfen.
Im Rahmen von Hinrich Wilhelm Kopfs Tätigkeit für die HTO gibt es mehrere spezifische Punkte der Anklage, auf die ich im Einzelnen eingehen möchte.
a.) Einsatz für politisch zuverlässiges Personal
Im Buch heißt es „Kopf setzte sich für politisch zuverlässiges Personal auch auf den untersten Ebenen ein“.
Dies ist wieder einmal eine tendeziöse Darstellung, schon allein weil sie impliziert: auf den oberen Ebenen setzte er sich sowieso dafür ein, was dann im weiteren Text allerdings nicht explizit ausgeführt wird. Wie kommt es zu dieser gänzlich falschen Aussage? Der Kreisleiter hatte in einem Schreiben darum gebeten, den kommissarisch verwalteten Firmen aufzugeben, nur solches Personal als Stundenbuchhalter zu beschäftigen, die politisch zuverlässig sind. Diesen Ukas reichte Hinrich Wilhelm Kopf an die kommissarischen Verwalter der Stadt Königshütte weiter und stellt anheim, allgemein eine derartige Anweisung ergehen zu lassen. Es ist zweifelsfrei der Kreisleiter, der politisch zuverlässiges Personal anmahnt und nicht Hinrich Wilhelm Kopf, wie es in der Biographie behauptet wird.
Warum sollte auch ein Nicht-Parteimitglied hier von sich aus aktiv werden? Im Buch heißt es dann „zwar lässt sich die Frage nach dem ursprünglichen Auslöser der Kausalkette nicht eindeutig beantworten“. Aus den Quellen lässt sie sich jedoch ganz eindeutig beantworten. Er hätte eventuell weniger angepasst gehandelt, wenn er den Ukas des Kreisleiters einfach unterdrückt hätte, aber das wäre für ihn als Nicht-Parteimitglied sicher riskant gewesen. Jedenfalls wird auch hier nicht nur mit subtilen Methoden, sondern mit falschen Aussagen ein unhaltbarer Vorwurf konstruiert.
b.) Verkauf von Grabsteinen jüdischer Friedhöfe (zum Straßenbau)
Im Buch heißt es: „Am 16. Nov. 1942 konnte Kopf den Verkauf von Grabsteinen des jüdischen Friedhofs in Cieszowa und Königshütte bekannt geben“ (grammatikalisch korrekt müsste es natürlich heißen: der jüdischen Friedhöfe. Zu dem Zeitpunkt hatte er allerdings schon lange keine Zuständigkeit mehr für Königshütte. Im Buch heißt es dazu lapidar: „Warum Kopf plötzlich auch für das jüdische Gemeindevermögen in Königshütte zuständig war, ließ sich nicht entnehmen“.
Nach einer relativ intensiven und frühzeitigen (vor der Veröffentlichung) Korrespondenz mit der Autorin zu diesem Thema, die offensichtlich nicht in der Lage war, polnische Quellen im Original zu studieren und nach meinen eigenen Nachforschungen, die ein ganz anderes Bild zeichnen, rückte Frau Nentwig dann auch von dieser Aussage ab und bestätigte mit Schreiben vom 25.01.2012: „Ja es waren wohl tatsächlich nur einzelne Grabsteine die Hinrich Wilhelm Kopf verkauft hat....“, wobei nun nur noch die Rede war vom Friedhof in Czieszowa. In Frau Nentwigs Schreiben vom 20.01.2012 hieß es noch wörtlich: „Denn Hinrich Wilhelm Kopf hat sowohl die Grabsteine des jüdischen Friedhofs in Czieschowa bzw. Cziechow und in Königshütte verkauft“.
Der Versuch, eine äußerst schwere Anklage zu rechtfertigen war somit nahezu von einem Tag auf den Anderen zwar größtenteils vom Tisch. In der Veröffentlichung fand diese bessere Einsicht allerdings leider keinen Niederschlag - aber die unsichere Quellenlage wird hier deutlich, die zu zweifelhaften Schlussfolgerungen führt. In der Veröffentlichung ist nach wie vor von den Friedhöfen in Cieszowa und Königshütte die Rede mit dem unglaublichen Hinweis, dass die jüdischen Grabsteine wohl zum Straßenbau verwendet wurden, obwohl es sich jetzt nur noch um einige handeln sollte. So entsteht auf eine absurde und nahezu plumpe Art und Weise eine Diffamierung, die von der Presse begierig aufgenommen wurde (Jüdische Grabsteine für den Straßenbau!). Unglücklicherweise hat sich sogar Ministerpräsident Weil in seiner Rede auch zu dieser Formulierung verleiten lassen.
Wie es zu der Vermutung kommt, dass Grabsteine zum Straßenbau verkauft wurden, erfahren wir aus einer Fußnote, in der die Autorin berichtet, bei einer Führung über den jüdischen Friedhof von Göttingen, von derartigen Praktiken in der NS-Zeit gehört zu haben. So werden grundlos Assoziationen aufgebaut die für derartige Beschuldigungen, jeder Grundlage entbehren.
Mit der Frage der jüdischen Friedhöfe habe ich mich selber besonders eingehend befasst und eigene Nachforschungen angestellt. Zwei Fragen müssen grundsätzlich geklärt werden. Erstens: Waren es Steine, die verkauft worden sein sollen, oder Grabsteine? (relevante Quellen erwähnen Steine) und zweitens: Wie passt der angebliche Grabsteinverkauf zur Feststellung mehrerer polnischer Quellen, die mir vorliegen, dass beide Friedhöfe den Krieg unbeschadet überstanden haben?
Im Fall des Friedhofes in Königshütte wird berichtet, dass die polnische Verwaltung nach dem Krieg das Friedhofsgelände für einen Bauplatz vorgesehen hatte und deshalb die Grabsteine entfernen ließ und verkaufte.
Zum jüdischen Friedhof in Cieszowa, der laut polnischer Quelle den Krieg ebenfalls unbeschadet überstanden hat, von dem nun angeblich nur einzelne Steine verkauft worden sein sollen, wäre noch Folgendes zu ergänzen: Die jüdische Gemeinde hatte bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts ihre Formalexistenz dort aufgegeben. Der katholische Pfarrer Karl Urban der Nachbargemeinde Sodow hat dann schon 1907 die Parzelle samt Synagoge und dazugehörigem Rabinerhaus für 1.250 Reichsmark erworben und 1911 diese Parzelle, einschließlich der sich darauf befindenden Gebäude wieder veräußert. Die Frage stellt sich: stammten verkaufte Steine möglicherweise von der nun in nicht jüdischem Privatbesitz befindlichen ehemaligen Synagoge und dem Rabinerhaus?
Die Feststellung, „er verwaltete in Cieszowa das jüdische Gemeindevermögen“, die auch wieder der Ministerpräsident in seiner Rede zur Buchvorstellung bemühte, erfordert jedenfalls eine wesentlich differenziertere Betrachtungsweise. Weder gab es dort eine jüdische Gemeinde, noch jüdisches Vermögen. Zu verwalten und gar zu verdienen gab es dort daher schon garnichts, aber es war für Hinrich Wilhelm Kopf eine Schutzfunktion, die dazu angetan war, nach seinem Ausscheiden 1942 aus der HTO ihn vor anderen Dienstverpflichtungen oder Repressalien zu bewahren. Schließlich war er ja nach wie vor kein Parteimitglied.
b.) Mitverantwortung für Deportationen in Vernichtungslager?
In allgemeinen Formulierungen wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Enteignungen durch die HTO und Deportation hergestellt, um sodann implizit Hinrich Wilhelm Kopf eine Mitverantwortumg für die Deportation vieler Juden in die Vernichtungslager zuzuschreiben, weil er durch seine Tätigkeit bei der HTO dazu beigetragen hätte, dass Juden ihr Eigentum verloren, „was wiederum die Wehrlosigkeit gegenüber den Verfolgungsmaßnahmen erhöhte und eine lebensrettende Flucht unmöglich gemacht hat“.
Im Zusammenhang mit seiner Berliner Tätigkeit trug er dazu bei, dass Juden durch Veräußerung ihrer Immobilien die Mittel für eine Flucht zur Verfügung standen. Dort wird es ihm allerdings als persönliche Bereicherung ausgelegt. Allgemeine theoretische Feststellungen werden so in individuell-persönliche Anschuldigungen umgemünzt. Wiederum ein äußerst tendenzöser und gewagter Versuch, eine direkte Anklage zu konstruieren. Zu fragen ist: Sind einzelne Fälle dokumentiert, wo Juden in Oberschlesien (nicht in Polen) nach Enteignung durch die HTO an denen Hinrich Wilhelm Kopf beteiligt war, in Vernichtungslager abtransportiert wurden? Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte die Biographin sicher nicht versäumt sie zu benennen.
c.) Gründe für Hinrich Wilhelm Kopfs Ausscheiden aus den Diensten der HTO
Dass Hinrich Wilhelm Kopf aus Gewissensgründen aus den Diensten der HTO ausgeschieden sein könnte, weil ihm im Laufe der Zeit, in der die Methoden der HTO skrupelloser wurden, moralische Bedenken kamen, mag Frau Nentwig ihm auf keinen Fall zugestehen. Es würde wohl auch nicht in das bis dahin gezeichnete tendentiöse Bild passen und muss deshalb unvorstellbar bleiben. Also werden mögliche Gründe dafür gesucht, warum dies unwahrscheinlich erscheint. Dazu gehört die Feststellung, dass er sich offenbar bis zum Ende seiner Tätigkeit für die HTO als effizienter, um Details kümmernder Beamter erwies, der noch kurz vor seinem Ausscheiden Büromaterial anforderte. Dass solche Verhaltensmuster zu seinen Charaktereigenschaften gehörten sowie seinem Verständnis von Diensterfüllung und preußischem Beamtentum entsprach, darf offensichtlich nicht in Betracht gezogen werden.
Der andere Grund, der von der Autorin der Biographie angeführt wird, sind finanzielle Forderungen, die er noch nach seinem Ausscheiden an die HTO stellte. Es erhebt sich die Frage, hätte er wirklich auf berechtigte finanzielle Forderungen verzichten müssen, um sich von der HTO moralisch abzugrenzen? Ich sehe hier keine zwingende Notwendigkeit. Natürlich lässt sich aus verständlichen Gründen kein direkter Nachweis für ein Ausscheiden aus moralischen Bedenken führen, denn es kann wohl kaum erwartet werden, dass er solche der HTO gegenüber schriftlich fixiert hätte.
Für den Grund, warum Hinrich Wilhelm Kopf bereits 1942 seine Tätigkeit bei der HTO einstellte, gibt es außer seinen moralischen Bedenken bestenfalls Vermutungen. Frau Nentwig versucht, finanzielle Auseinandersetzungen ins Spiel zu bringen. Die Quellenlage gibt das allerdings nicht her. Ein Hinweis auf seine Nicht-Zugehörigkeit zur NSDAP wäre in diesem Zusammenhang eher nützlich gewesen. Ebenso die Tatsache, dass es sich bei den HTO-Maßnahmen anfangs in erster Linie um die Registrierung und treuhänderische Verwaltung von persönlich nicht zuzuordnenden Immobilien handelte und erst im Laufe der Zeit zu Konfiskationen ausartete, die er wohl nicht mehr mittragen wollte.
3. Bagatellisierung Hinrich Wilhelm Kopfs Opferrolle
Im Vergleich zu konstruierten Verurteilingen, werden die Opferrolle und die Benachteiligungen, die Hinrich Wilhelm Kopf durch das NS-Regime erfahren hat, kaum gewürdigt.
Dass er als SPD Mitglied unter den Nationalsozialisten erhebliche Diskriminierungen erlitten hat, wird so nebenbei als Petitesse erwähnt und als „geringe Repressalie“ kategorisiert. Dabei wurde seine Beamten-Karriere zweifelsfrei von den Nazis beendet, indem er wegen seines SPD-Parteibuches als Landrat nicht mehr infrage kam, ebenso wenig wie als preußischer Beamter - und stattdessen in den einstweiligen, später in den endgültigen Ruhestand versetzt wurde. Sein NSDAP-Landratsnachfolger kündigte ihm dann auch unverzüglich einen Kredit zur sofortigen Rückzahlung, aber das ist natürlich auch nur eine geringfügige Beeinträchtigung, denn wir lesen: „es war ja von der Größe her nur ein unbedeutender Kredit“.
Ebenso die Tatsache, dass sein NS-Nachfolger eine Pass-Sperre gegen Kopf veranlasste, wodurch sein Antrag auf Ausstellung eines Passes abgelehnt wurde. Das alles wird dann, fast unglaublich, zu „geringfügigen Repressalien“ stilisiert, denen er ausgesetzt war.
Ach ja, er wurde zwar auch noch 1936 auf einer schwarze Nazi-Liste früherer wichtiger SPD-Mitglieder im Bereich Wesermünde geführt, aber da heißt es dann: “da war er ja schon längst in Berlin“; soll wohl heißen: Im sicheren Hafen, außer Reichweite der Nazis?
Im Falle Zauch-Belzig, eines anderen SPD-Landrates dagegen heißt es: “Er war eines der Opfer der NS-Säuberungswelle…… die über die preußischen Landräte hereinbrach“. In diesem Fall nicht eine geringe Repressalie, sondern eben ein Opfer der NS-Säuberungswelle! Schwer zu verstehen wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Zusammenfassend ist noch einmal festzustellen, dass die Arbeit, die ja auch einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen hat, nicht nur eine tendenziöse Linie verfolgt, sondern gravierende Fehler aufweist - die zu konstruierten Schlussfolgerungen, Mutmaßungen und Urteilen führt, die nicht nur einer entschiedenen Korrektur bedürfen, sondern zwingend eine neue Bewertung der gesamten Biographie erforderlich machen.
Dr. Ferdinand Kuba
im März 2015
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Hinrich Wilhelm Kopf (SPD),
Gründervater und erster Ministerpräsident Niedersachsens
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