Landtagspräsident a.D. Horst Milde zur Umbenennung des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platzes: "Schäbig und ehrverletzend"
Gedanken zur Umbenennung des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platzes –
Ein Interview mit Landtagspräsident a.D. Horst Milde (SPD)
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Landtagspräsident Horst Milde (SPD)
Herr Milde, der erste Ministerpräsident Niedersachsens Hinrich Wilhelm Kopf hat seinen guten Ruf verloren und selbst sein Ehrengrab in Hannover wurde ihm aberkannt.
Horst Milde: Alle die, die von Hinrich Wilhelm Kopf leichtfertig behaupten, er sei ein Landesvater mit brauner Vergangenheit und habe mit seinem Handeln aktiv das nationalistische Regime mit seinem antisemitischen und antipolnischen Kurs unterstützt, kann man nur verstehen, wenn man unterstellt, daß sie von dieser Vergangenheit keine Ahnung haben. Sie treffen ihre Entscheidung nur nach den bequemen Regeln des heutigen Zeitgeistes. Dieser Zeitgeist ist aber kein Gesetz, das alles erlaubt.
Nachdem die junge Historikerin Teresa Nentwig ihre Biographie zu Hinrich Wilhelm Kopf veröffentlichte und die Diskussionen begannen, beschimpfte man Hinrich Wilhelm Kopf als Nazi. Sie kannten Hinrich Wilhelm Kopf ja noch persönlich - was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Hinrich Wilhelm Kopf kann sich gegen die ihn erhobenen Angriffe nicht mehr wehren. Ihm rechtliches Gehör zu schenken, ist nicht möglich. Deshalb müssen es auch im Interesse wahrer Geschichtsschreibung wenigstens die tun, die ihn kannten und erlebt haben.
War Hinrich Wilhelm Kopf ein Antisemit - wie behauptet wird - wenn am Abend des 8. November 1938, der "Reichskristallnacht", mehrere Juden in das Gebäude seines Büros am Kurfürstendamm flüchteten und bei ihm vor dem Progrom ersten Unterschlupf fanden, während in der benachbarten Fasanenstrasse die Berliner Synagoge in Flammen aufging? Hat er mit seinem Handeln das nationalsozialistische Regime aktiv unterstützt - wie behauptet - wird , wenn er als Sozialdemokrat aus dem Staatsdienst des Dritten Reiches entlassen worden ist? Wo ist der Beleg für den ungeheuren Vorwurf, daß er angeblich jüdische Grabsteine verkauft hat? Das Gegenteil ist auch von polnischer Seite längst belegt.
Wenn nun eine Historikerin seine "NS-Vergangenheit" erforscht und "Erschreckendes" entdeckt haben will, dann ist schon diese Wortwahl für mich Meinungsmache und sollte Grund genug sein, diese Wertungen in der Forschungsarbeit gründlich zu überprüfen, anstatt sie vorbehaltlos zu übernehmen.
Es werden ja nur wenige, aber sehr entscheidende Teile der Arbeit Nentwigs in Frage gestellt, z. B. von Dr. Ferdinand Kuba, der von „konstruierten Beweisketten“ spricht. Kuba wirft Nentwig zudem vor, dass sie diverse Falschdarstellungen und die schwere Anschuldigung des Verkaufs jüdischer Grabsteine unverändert in die Biographie mit aufgenommen und publiziert hat, obwohl er mit der Autorin in ausgiebiger Korrespondenz stand und ihr bereits vor dem Buchdruck nachwies, dass die jüdischen Friedhöfe sogar noch viele Jahre nach dem 2. Weltkrieg existierten und sich die Grabsteine dort unversehrt befanden. Da insbesondere diese schwerwiegenden Falschdarstellungen Hauptauslöser für die Diskussion, die Entehrung und die Platzumbenennung waren, sieht Dr. Kuba darin eine gezielte Rufmordkampagne zu Lasten Hinrich Wilhelm Kopfs.
Der erste Ministerpräsident Niedersachsens wird von seinen unbedachten und sich selbst überschätzenden Kritikern völlig falsch charakterisiert. Sie sollten schon bedenken, daß Kopf trotz ihrer Anwürfe mit der Geschichte Niedersachsens untrennbar positiv verbunden ist und bleiben wird. Zu dieser Tatsache gehört beispielsweise seine Initiative zur Schaffung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung. Dabei wird in seinem Neuwerker Entwurf seine von den Umbenennern völlig unbeachtete christliche Grundeinstellung deutlich. In diesem Geist hat er formuliert: "Das Leben des Menschen ist ein Lehen Gottes. Es ist unverletzlich. Unverletzlich sind auch die Ehre und Würde des Menschen."
Sein weiteres in einem Brief an Kurt Schumacher zum Ausdruck gebrachtes Bekenntnis: "Ich bin Sozialist, weil ich Christ bin, und ich glaube, daß jeder wirkliche Christ Sozialist sein muß", hat mich mit ihm verbunden, weil er es auch praktiziert hat. Die für sich jetzt in einseitiger Form eine "moralische Betrachtungsweise"1 in Anspruch nehmen, können sich an der moralischen Haltung Kopfs und seiner Lebenseinstellung ein Beispiel nehmen. Es wäre ein nicht zu unterschätzender Lernerfolg.
Moral zu leben in einer totalitären Zeit der Unterdrückung, die absolute Unterwerfung gebot, dürfte sicherlich nicht einfach gewesen und für viele heute auch schwer nachvollziehbar sein.
Die Geschichte - insbesondere unsere deutsche Geschichte - sollte, wenn sie wahrhaftig sein will, immer in ihrer Gesamtheit beurteilt werden. Das gilt auch für die Menschen, die dieser Geschichte ausgesetzt waren und überleben wollten. Was heute als neue Erkenntnis vorgebracht wird, war vor fünfzig Jahren schon in wesentlichen Teilen in dem Buch "Hinrich Wilhelm Kopf und Niedersachsen" zu lesen.
Alle Zeugen der damaligen Zeit, die den Nationalsozialismus erlebt und besonders die, die ihn nach Verfolgungen überlebt haben, sind zu einer völlig anderen Bewertung gekommen als heute spätgeborene selbstgerechte Politiker, die glauben Hinrich Wilhelm Kopf "entnazifizieren" zu können. Nicht einmal die britische Besatzungsmacht, die sich mit der politischen Vergangenheit von Hinrich Wilhelm Kopf befasst hat, ist 1945/46 auf diese Idee gekommen. Kurt Schumacher, Egon Franke und Fritz Heine, Annemarie Renger und viele andere – nicht nur Sozialdemokraten – wussten, wer Hinrich Wilhelm Kopf war und kannten seine Tätigkeit in dem 1922 von Polen annektierten Teil des deutschen Oberschlesiens.
Das gilt ebenso für alle Mitglieder der Kabinette Kopf, wie Alfred Kubel, Adolf Grimme, Richard Voigt und Heinrich Alberts, um nur diese vier zu nennen. Sie schätzten den Menschen, den Politiker, mit dem sie zusammen Deutschland und Niedersachsen in schwerster Zeit wieder zu einem demokratischen Staat entwickelten.
Es mehren sich zudem Stimmen, die sogar eine weitere Wohltat Hinrich Wilhelm Kopfs sehen, da er gerade durch sein Verhalten auf eigenes Risiko hin die jüdischen Friedhöfe und deren Grabsteine vor der Zerstörung und Verwertung geschützt haben könnte. Sie fordern aufgrund der gravierenden Unwahrheiten in der Dissertation Nentwigs die Rückgängigmachung der Platzumbenennung und die Wiederherstellung der Ehre, Dr. Kuba sogar die öffentliche Rehabilitation von Hinrich Wilhelm Kopf durch Ministerpräsident Weil.
Die Umbenennung des Landtagsvorplatzes mit den Stimmen von Sozialdemokraten finde ich beschämend. Diese Entscheidung ist kein Ruhmesblatt, sie ist schäbig und ehrverletzend. Mit einer solchen Politik sind - nebenbei gesagt - nicht die Sympathien der Mehrheit der Wähler zu gewinnen.
Ich habe Hinrich Wilhelm Kopf erlebt und werde sein Andenken in Ehren halten.
In diesem Sinne begrüße ich auch die Bereitschaft von Landtagspräsident Busemann, das bisherige Ehrengrab von Hinrich Wilhelm Kopf pflegen zu lassen.
Herr Milde, vielen Dank für das Gespräch.
1 Horst Milde bezieht sich damit auf die "moralische Betrachtungsweise" der Vizepräsidentin des Niedersächsischen Landtages, Dr. Gabriele Andretta, die sich in einem Leserbrief an den SPIEGEL (8/2014) über Hinrich Wilhelm Kopf äußerte.
VITA von Horst Milde:
Horst Milde ist 1933 in Breslau geboren. Nach der Vertreibung aus seiner schlesischen Heimat im Jahre 1946 und dem Besuch der Staatlichen Oberschule für Jungen in Leer wurde er Beamter der Stadt Leer. Nach mehreren Jahren politischer Tätigkeit trat er 1956 in die SPD ein. Neben anderen herausghobenen Funktionen bekleidete er folgende öffentliche Ämter:
- stellvertretender Landrat des Landkreises Leer (1965-1968),
- Bürgermeister der Stadt Leer (1968-1973),
- Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages (1967-1973 und 1978-1998),
- Präsident des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Oldenburg (1973-1976),
- Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg (1986-1991) und
- Präsident des Niedersächsischen Landtages von 1990-1998).
Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat sich Horst Milde sehr für die deutsch-polnische Verständigung eingesetzt und ist dafür vielfach ausgezeichnet worden, u. a. 1999 mit dem polnischen Offizierskreuz und 2010 mit der Medaille für Verdienste um die polnische Kultur. 2013 wurde er als Verdienter Bürger der Stadt Breslau vom Stadtpräsidenten geehrt.
Ministerpräsident Alfred Kubel überreicht Horst Milde in der Staatskanzlei das Bundesverdienstkreuz (1973): „Das Gemälde von Hinrich Wilhelm Kopf wollte Kubel mit auf dem Bild haben.“
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